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Azadeh Zamirirad - Argumentationslinien für die Mullahs?

Eine Analyse der Aussagen von Frau Dr. Zamirirad in einem Interview mit Ulrich Timm bei Tagesschau24.

Marco Herack
Marco Herack
14 minuten gelesen
Azadeh Zamirirad - Argumentationslinien für die Mullahs?
National Human Rights Committee - Qatar

Inhaltsverzeichnis

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Das Interview

Am 23. Januar 2023 hat Ulrich Timm bei Tagesschau24 ein Gespräch mit Dr. Azadeh Zamirirad von der Stiftung Wissenschaft und Politik geführt. Dieser Dialog hat in den sozialen Medien zu einer Welle der Empörung geführt, bei der ihr einmal mehr der Vorwurf gemacht wurde, sie gehöre zu den Iran-Apologeten. Einer Gruppe an Menschen, die für das Regime im Iran Denk- und Argumentationsgebilde an westliche Gesellschaften und vor allem Politikerïnnen und Wissenschaftlerïnnen vermitteln.

Im Zuge dessen ploppte auch ein schwelender Konflikt zwischen iranischer Diaspora und lit.COLOGNE wieder auf, die Frau Dr. Zamirirad auf das Eröffnungs-Panel eingeladen hat. Dies führte zu einem offenen Brief mit rund 200 Unterschriften und einer entsprechenden Debatte in den sozialen Medien. Die Antwort der lit.COLOGNE wurde seitens der Protestierenden als unverschämt empfunden. Weder gab es ein Interesse an dem Anliegen der Protestierenden noch Empathie für ihre Sorgen, die man mit dem Hinweis wegwischte, dass niemand ausgeladen werde.

Nach einem Blick auf den Brief, kann ich bestätigten, dass die Veranstalter kein Interesse an einer vertieften Argumentation und Auseinandersetzung über das doch sehr wichtige Thema haben, wen sie da sprechen lassen und für wen er oder sie spricht. Das ist im Grunde auch eine erstaunliche Anspruchslosigkeit seitens der lit.COLOGNE an ihr eigenes Programm.

Das von Ulrich Timm geführte Gespräch gibt uns die Möglichkeit, einen genaueren und aktuellen Blick auf die Argumentationsmuster von Frau Dr. Zamirirad zu werfen. Dabei möchte ich vorab auf einen früheren Artikel von mir verweisen, der sich mit den Argumentationsmustern der Iran-Apologeten befasst. Wir werden an dieser Stelle nicht klären können, welchem gruppen-ideologischen Hintergrund Dr. Zamirirad zuneigt. Das ist aus meiner Sicht auch nicht notwendig, da die Argumentationsmuster in Richtung eines Menschenbildes zeigen. Ob dieses Menschenbild, das zu einem politischen Handeln anleiten soll, kompatibel mit dem Grundgesetz sein kann, wäre aus meiner Sicht die interessantere Frage.

Damit die Übersicht gewahrt bleibt, werde ich auf den jeweiligen Zeitstempel im Video verweisen. Das Gespräch selbst findet ihr in der ARD Mediathek.

Was Frau Dr. Zamirirad sagt

Dr. Zamirirad Minute 01:14 bis 3:58

Laut Frau Dr. Zamirirad handelt es sich beim Iran um einen ‚Gottesstaat‘ und es bestehen ‚Rahmenbedingungen einer Diktatur‘. Zudem insistiert sie darauf, dass der oberste Führer Ali Chamenei zwar formal das letzte Wort habe, es aber durchaus noch andere Machtzentren gibt. Der formal zweite Mann im Staat sei zwar der Präsident, aber dessen wahre Macht hänge davon ab, wie gut sein Zugang zum obersten Führer Chamenei sei.

Gedanken Marco Herack

  • Es gibt nur einen Vertreter des 12. Imam und der hat am Ende immer das Sagen. Zurzeit ist das Chamenei.
  • Zudem regelt ‚der Gottesstaat‘ das Leben der Menschen im Iran in einem nicht unerheblichen Maße. Bis hin zum Essen und Trinken. Die Kleidervorschriften sind dabei für westliche Beobachter im Regelfall sichtbare Spitze des Eisberges.
  • Es ist vor diesem Hintergrund etwas sonderbar, dass Frau Dr. Zamirirad sagt, es handele sich bei der islamischen Republik um eine Autokratie mit fluider Meinungsfindung qua Machtzirkeln. Das ist eine Demokratiebehauptung durch die Hintertür, die suggeriert, dass man von außen auf das System einwirken könne.
  • Zum Beispiel in dem man den einen Machtbereich überzeugt und dieser dann ebenfalls auf die anderen Machtzirkel einwirke.
  • Aufgrund der Staatseingriffe in das private und gesellschaftliche Leben müsste man eher diskutieren, ob das Land nicht im totalitären Bereich zu verorten ist und wie weit dieser Prozess bereits fortgeschritten ist.
  • In meiner Wahrnehmung wäre die Verortung im Totalitären eine Art Rückbesinnung auf die Wurzeln, die mit der ‚Revolution‘ gewachsen sind.
  • Zu bedenken geben würde ich an der Stelle, dass die vermeintlich offeneren Phasen, ebenfalls durch Gewalt geprägt waren. Diese Gewalt wurde nur willkürlicher verteilt und es hing im Zweifel von Kontakten und finanziellen Ressourcen ab, welche Möglichkeiten man selbst hatte sich dieser Willkür zu entziehen oder sich aus ihr zu befreien.
  • In jedem Fall aber ist es widersprüchlich, wenn Frau Dr. Zamirirad auf den verschiedenen Machtpolen beharrt und dann den Einfluss des zweiten Mann des Landes (Präsident Raisi) am Zugang zum obersten Führer festmacht.

Dr. Zamirirad Minute 06:05 bis 6:20

In den Städten seien vor allem ‚Sondereinsatzkräfte der Polizei‘ unterwegs. In den Provinzen hingegen sei die Niederschlagung ‚militärisch‘.

Gedanken Marco Herack

  • Dieser Punkt zieht sich durch das ganze Interview, daher thematisiere ich ihn mehrfach und er ist entsprechend wichtig.
  • Hier werden zunächst die Entitäten miteinander und vermischt und so wird unnötigerweise unklar, wer Demonstrantïnnen niederschlägt.
  • Die Revolutionsgardisten sind nicht das Militär. Diese Aussage ist falsch. Das Militär ist eine eigene Entität.
  • Hingegen sind die ‚Sondereinsatzkräfte‘, die in den Städten die Demonstranten niederschlagen, im Regelfall die Basij, die organisatorisch den Revolutionsgarden unterstellt sind. Und eben diese Revolutionsgarden ermorden in den Provinzen die Demonstrantïnnen.
  • Das ist insofern wichtig, als dass die Revolutionsgarden explizit für den Schutz der Revolution und des Führers verantwortlich sind. Hier wird mit geeinter Hand agiert und nicht von verschiedenen Entitäten aus.
  • Die Aussage, dass in den Provinzen die Aufstände ‚militärisch’ niedergeschlagen werden, ist insofern problematisch, als dass dies ein vom Regime gestreutes Narrativ bedient, in dem in den Provinzen mit Waffen aus dem Ausland versorgte Separatisten unterwegs sind.
  • Das Wort ‚militärisch‘ legitimiert (es gewöhnt an den Gedanken) nun diese Behauptung, für die es keinerlei Evidenz gibt und spielt damit der Regimepropaganda in die Hände.
  • Was wir in den Provinzen sehen, sind Revolutionsgardisten, die militärisch gerüstet gegen Demonstrantïnnen vorgehen.

Dr. Zamirirad Minute 14:05 bis 15:53

Die Revolutionsgarde müsse man nicht auf die europäische Terrorliste setzen, weil diese bereits via Sanktionen auf anderen Listen stehe und das in der Praxis keinen Unterschied mache. Zudem würde man Wehrpflichtige, die als Mitglieder der Revolutionsgarden eingezogen seien, damit treffen. Die könnten nix dafür und sind vielleicht sogar schon in die USA geflohen. Es würde die Falschen treffen. Das sei reine Symbolpolitik und man müsse nun vielmehr echte Dinge tun, um den Menschen im Iran zu helfen.

Gedanken Marco Herack

  • Die Revolutionsgarden stehen in den USA auf der Terrorliste und bekommen bspw. kein Visum für die USA. Frau Dr. Zamirirad vermischt hier wieder Armee und Revolutionsgarden. Normale Wehrpflichtige leisten ihren Dienst bei der Armee. Es ist zwar auch möglich, seine Wehrpflicht bei den Revolutionsgarden zu verbringen, dafür braucht man aber sehr gute Kontakte und es gibt ein strenges Auswahlverfahren, bei dem man auch die Familie durchleuchtet. Niemand wird während seines Wehrdienstes ‚random‘ den Revolutionsgarden zugeteilt.
  • Bei Foreign Policy gibt es eine recht ausführliche Beschreibung des Prozesses, der auf rund 20% Rekruten kommt, die fraglich sein könnten, aber mit etwas Willen rauszufiltern wären.
  • Bei diesen 20% wäre noch fraglich, ob sie qua Armut zu Nicht-Tätern werden, zumal sie ihr künftiges Leben auf dem Kontakt zu dieser Organisation aufbauen und in ihrer Zeit dort indoktriniert werden.
  • Warum seitens Frau Dr. Zamirirad auch hier wieder so ungenau gearbeitet wird, erschließt sich mir nicht. Da ungenaue Argument ist aber bei Verfechtern einer Appeasement-Politik gegenüber dem Iran sehr beliebt.
  • Jedenfalls zeigt sich an dieser Stelle auch nochmal der Link zwischen staatlichem Handeln und den Revolutionsgarden. Es ist eine Hand, die da walkt und wirkt.
  • Es gibt einen unmittelbaren Effekt bei einer Listung der Revolutionsgarden als Terrororganisation durch die EU. Das Atomabkommen JCPOA ist faktisch tot und nicht mehr verhandelbar. Das ist weit mehr als Symbolpolitik, es ist ein Statement: Wir halten euch für nicht vertrauenswürdig genug für diesen Deal.
  • Hinzu kommt, dass in der EU sofort Vermögen beschlagnahmt werden können. Auch von assoziierten Einzelpersonen. Die Geldwäscheaktionen, die die islamische Republik in der EU durchführt, werden dadurch erheblich erschwert. Das trifft dann sehr plötzlich auch die Familien der Sepah, die mit deren Geld fröhlich und freizügig im Ausland leben.
  • Man kann daher nicht behaupten, dass die Listung der Sepah als Terrororganisation keinen Effekt hat und nur symbolischer Natur ist.

Dr. Zamirirad Minute 16:34 bis 18:27

Deutschland und die EU brauchen eine neue Iran-Politik, die sich ehrlich macht. Möchte man ‚weiterhin‘ JCPOA verhandeln (?) oder in Kauf nehmen, dass der Iran mittelfristig ein Atomwaffenstaat wird? Bei Letzterem würde man einen Plan B brauchen, aber darüber werde ja ohnehin nicht diskutiert. Wie man aber an Trump sehe, führe der Atomvertragsausstieg dazu, dass der Iran der Bombe näher komme und viele Kooperationen ausgesetzt wurden. Das könne nicht das Ziel einer effektiven Politik sein.

Gedanken Marco Herack

  • Das Argument engt den Zustand auf ‚Bombe oder Nicht-Bombe‘ ein. Es ignoriert auch völlig die finanziellen und sozialen Kosten, die das Programm innerhalb der islamischen Republik erzeugt oder das Vertrauensproblem, dass die Mullahs gegenüber ihren westlichen ‚Partnern‘ haben. Und vor allem wischt es die Doppel-Funktion des Programmes innerhalb des Systems vom Tisch.
  1. Das Atomwaffenprogramm ist ein ewiger Zustand. Es frisst Unmengen an Ressourcen (ca. 100 Mrd. Dollar wurden in 20 Jahren durch Sanktionen etc. verloren; ca. 30+ Mrd. ausgegeben).
  2. Dieser ewige Zustand ist zu einem Glaubenspfeiler der islamischen Republik geworden. Man sieht es als lebens- und überlebenswichtig an. Aus der DDR kommend, liegt für mich aber die Frage nahe, ob es nicht eines der Programme ist, das so viele Ressourcen benötigt und Beschäftigung erzeugt, dass es quasi staatserhaltend ist. Als dauerhafte Einrichtung ermöglicht es dauerhafte Korruption. Es bindet emotional und definiert den äußeren Feind.
  3. Und zynischerweise erhält es auch diesen Feind, denn man kann ewig mit ihm verhandeln und jedes Scheitern auf den definierten Feind schieben. Trotz aller Sanktionen bindet es den Iran an die USA, an Europa und hält das Land auf internationaler Bühne relevant.
  4. Es ist unter diesem Gesichtspunkt kein Zufall, dass die islamische Republik immer wieder Forderungen aufstellte, die zu einem Scheitern der Verhandlungen führen mussten.
  5. Die Sanktionen, die durch das Atomprogramm ausgelöst wurden, ermöglichen zusätzliche Korruption und Einnahmen durch Schmuggel. Auch hier kann man wieder den Feind definieren und verantwortlich machen.
  6. Der Schmuggel (= Kontrolle der Güterzufuhr) ist innersystemisch zudem eine Art Kontrolle der Bürgerïnnen. Das Regime bringt es sogar fertig, ihnen VPNs zu verkaufen (deren Inhalte und Nutzung man dann auch kontrollieren kann).

Dr. Zamirirad Minute 18:28 bis 19:39

Ulrich Timm versucht, den Punkt zu machen, dass die Einnahmen des Iran-Deals, für die Zeit in der er wirkte, seitens des Regimes ins Militär floss, um seinen Einfluss zu kontern. Frau Dr. Zamirirad konterte dies mit Zahlen seitens der US-Sicherheitsbehörden (die sie nicht näher benennt), denen nach Iran für den Einfluss und seine Tätigkeiten in der Region nicht so viel aufwenden müsse, wie allgemein vermutet. Vor allem nicht so viele Mrd. an Dollar wie mancher glaube.

Gedanken Marco Herack

Der ganze Part ist etwas schräg. Zum einen hat Ulrich Timm recht. Es gab einen merklichen Geldzufluss während des Wirkens des Iran-Deals in den Iran. Dieses Geld floss allerdings nicht ‚nur‘ in ’das Militär’. Und, wichtiger, die Einflussoperationen ‚in der Region‘ (meint vorwiegend: Jemen, Libanon, Syrien und Irak) werden im Regelfall von den Revolutionsgarden durchgeführt.

Was tun diese ‚in der Region‘? Sie stecken bspw. Geld in den Aufbau des Schreins in Kerbela. Sie finanzieren diverse Milizen in verschiedenen Ländern. Sie versorgen ihre Verbündeten mit Waffen aus eigener Produktion und unterfüttern diese Milizen bei Bedarf mit Geld und Söldnern. Es werden Rohstoffe und Waren geschmuggelt, Anschläge geplant und finanziert.

Im Grunde geht es den Revolutionsgarden darum, diese Länder in den Griff zu bekommen. In der Folge werden die Länder einerseits ausgeraubt, sprich die Armut der Bürgerïnnen gehört auch hier zum Konzept. Aber, wie man sehr gut im Irak sieht, versucht man seitens der Revolutionsgarden auch die Wirtschaft dieser Länder zu okkupieren. Im Irak gibt es daher immer weniger Eigenproduktion und immer mehr Importe von iranischen Firmen zu überhöhten Preisen. Berichte hierzu legen nahe, dass diese Marktübernahmen gewaltsam erfolgen.

Wichtig ist: Die Revolutionsgarden stehen auf beiden Seiten an der Kasse und kassieren ab. Sie teilen da, wo notwendig, und nehmen alles, wo möglich.

Die Einnahmen aus dem Atom-Deal wurden auch dazu verwendet, um in Iran Waffensysteme weiterzuentwickeln. Forschung zu betreiben. Auch diese ‚Unternehmen‘ sind in den Händen der Revolutionsgardisten, die einen großen Teil der iranischen Wirtschaft dominieren. Diese Waffen und Entwicklungen, low cost Drohnen bspw., kann man nun u.a. nach Russland verkaufen und so ein Bündnis schmieden und Einnahmen erzielen. Aktuell wird eine Handelsroute zwischen Iran und Russland geplant, die nur einen Zwischenhalt hat: Aserbaidschan.

Natürlich profitiert die Armee von all dem in Form von Waffen. Aber es ist auch hier wieder auffällig, dass die Wissenschaftlerin Zamirirad nicht bereit ist, die Trennung zwischen Armee und Revolutionsgarden vorzunehmen. Warum auffällig? Weil die Armee im Iran als einzige Institution gilt, die sich ‚vom Regime‘ abwenden und sich auf die Seite der Demonstrantïnnen stellen könnte. Der Grund ist simpel: Die Armee ist nicht in der gleichen Form wie die Revolutionsgarden in das Machtgefüge der islamischen Republik eingebunden. Umso wichtiger ist es, diese Trennung auch verbal vorzunehmen.

Wohin also fließt abseits der benannten Faktoren das Geld? Es wird in die Machtzirkel abgezweigt. Man weiß, dass durch den Iran-Deal keine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Bevölkerung entstand. Es ist so wenig unten angekommen, dass diese Gelder nicht spürbar waren. Ein Moment, in dem das Regime seine Maske fallen ließ.

Das ist wichtig, denn diese Phase ist der Hauptgrund dafür, dass viele Iranerïnnen sagen: Sanktioniert das Regime mit aller Härte, es lässt uns eh verhungern.

Dr. Zamirirad Minute 19:40 bis 20:49

Fast schon empört weist Frau Dr. Zamirirad von sich, dass die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands beim Atom-Deal eine Rolle spielen könnten. Für Deutschland sei das wirtschaftlich alles viel zu unwichtig. Man sehe doch auch an Russland, wie schwierig es sei, mit atomar bewaffneten Staaten umzugehen.

Gedanken Marco Herack

Auch dieser Einwurf von Frau Dr. Zamirirad ist sonderbar einseitig. Denn natürlich profitieren deutsche und europäische Unternehmen davon, wenn der Iran einen Atom-Deal abschließt und sich der Markt öffnet. Wir haben ein ähnliches Denken in Deutschland auch bezüglich Russland gehabt. Ein Markt, der nur mehr Ordnung bedürfe, und dann hätte er wunderbare Potenziale für die deutsche Wirtschaft. (Dieses Denken gab es schon im 19. Jahrhundert, es ist in dem Sinne historisch gewachsen und freilich komplett marktzentriert.) Warum die Frage nach der Zukunft mit dem Status quo abgeschmettert wird, ist zumindest fraglich. Die dazugehörige Emotionalität weist mE gen fehlender Argumente.

Dr. Zamirirad Minute 21:22 bis 23:48

Die 300.000 Exil-Iraner in Deutschland (Ulrich Timm; Zahl finde ich zweifelhaft, sie wurde aber von Dr. Zamirirad übernommen) sprechen nicht mit einer Stimme. Es gibt hier mehrere Meinungen. Nicht alle sind dafür, die diplomatischen Beziehungen zum Iran abzubrechen. Es gebe jedoch bestimmte Forderungen aus der ‚politischen Rechten im Ausland‘, die von ‚neokonservativen, trumpistischen Denkmustern‘ herrühren und in diesem Diskurs ‚sehr dominant‘ auftreten würden.

Es gäbe jedoch auch viele Iranerïnnen, die verstehen würden, dass man einen Botschafter brauche, der Informationen sammele und Protestnoten überreiche. Es bräuchte eigentlich Visa-Erleichterungen und man müsse den Menschen vor Ort helfen. Alles andere sei Symbolpolitik.

Isolationspolitik könnte den Iran Richtung Nord-koreanischen-Szenario bewegen, das kann nicht unser Interesse sein. Man sollte viel eher darauf hinwirken, dass die Diaspora Geld in den Iran senden könne um Kautionen, Anwälte und sonstiges zu bezahlen. Wir diskutieren immer nur um Symbolpolitik.

Gedanken Marco Herack

Auf einmal muss man differenzieren, wer da was fordert, aber die Forderungen wiederum sind klar einem einzigen (neokonservativen und trumpistischen) Denkmuster zuzuordnen. Die Wissenschaftlerin Dr. Zamirirad hat an der Stelle keine Zahlen dazu, wer was denkt, aber eine Behauptung parat. Das ist in den Politikwissenschaften zumindest mal ‚unüblich‘.

Dass eine Isolation des iranischen Regimes ein Nord-korea-Szenario bedeuten würde, ist eine Folgebehauptung, die nicht näher ausgeführt wird. Darin steckt wiederum die Annahme, dass die Demonstranten nicht nur nicht stark genug sind, um das Regime zu stürzen, sondern dass große Teile der Bevölkerung auch bereit sind, den Herrscher zu verehren und ihm zu huldigen. So wie man das in Nord Korea sieht. Frau Dr. Zamirirad gibt an der Stelle aber erstmals die totalitären Tendenzen der islamischen Republik zu. Anfänglich wollte sie ja bestenfalls ‚Rahmenbedingungen einer Diktatur‘ erkennen.

Ein Blick auf die Proteste im Iran zeigt vor allem, dass die Protestierenden für einen säkularen Iran protestieren. Man sieht im Land eine Welle des areligiösen, in Abgrenzung zur herrschenden Klasse. Ein Bedürfnis, Chamenei zu huldigen und zu verehren (so wie Kim Jong-un verehrt werden muss), entdeckt man doch eher selten.

Das unterscheidet die Iranerïnnen auch von Russland. In Russland wollen wenige Menschen wirklich Krieg führen, es sind aber viele ideologisch an Bord. Deren Meinung nach gehört die Ukraine zu Russland. Im Iran wollen große Bevölkerungsteile keinen Mullah-Staat mehr. Ländervergleiche führen an der Stelle also eher zur einer Nicht-Vergleichbarkeit.

Aber der Hinweis auf Nord Korea ist auch hilfreich. Denn Nord Korea lebt u.a. davon, dass man sich als Schurkenstaat positioniert. Einerseits werden weltweit Aktionen zur Geldbeschaffung durchgeführt und zum anderen droht man ständig mit dem Atomwaffenprogramm, von dem es auch nur Annahmen gibt, wie gut oder stark das nun wirklich ist. Die islamische Republik hat die Zurückhaltung der westlichen Welt diesbezüglich sehr genau studiert und lehnt ihre Verhandlungen und Argumentationen genau daran an.

Dr. Zamirirad Minute 23:54 bis 26:22

Ulrich Timm würde nun gerne wissen, was man denn konkret tun könne. Das Ergebnis:

Man müsse Finanzkanäle gen Iran öffnen. Der Austausch mit der ‚professionellen‘ Menschenrechts- und Frauenrechtscommunity müsse institutionalisiert werden. Und die sollen dann Hinweise geben, was gebraucht wird.

Generell bräuchten die Demonstrierenden Zeit. Sie benötigen finanzielle Mittel und diplomatische Stärkung.

Gedanken Marco Herack

Abseits dessen, dass das nicht sehr konkret ist, während Frau Dr. Zamirirad allen anderen Ideen und politischen Forderungen Symbolpolitik unterstellt wird, hat es diese Formate im Grunde schon gegeben. Da trafen sich dann Menschrechtlerïnnen in Drittstaaten, finanziert und/oder organisiert von außen.

Das Problem mit der Sache war und wird sein, dass die islamische Republik über einen großen Fundus an fluiden Persönlichkeiten verfügt. Oftmals waren diese zuvor im Gefängnis und kam wieder frei. Meist steht ein Deal hinter dem Vorgang, der ungefähr so aussieht:

Man kann gegen das Regime wettern und sich als Anti-Regime präsentieren. Aber wenn das Regime ruft und fordert, dann muss man einen Beitrag, Text oder Ausruf für das Regime veröffentlichen.

Würde nun also bspw. das Auswärtige Amt, wie von Frau Dr. Zamirirad gefordert, institutionalisierte Kreise initiieren, dann würde das Regime wohl jene darin zulassen, die es auf direktem oder indirektem Wege in der Hand hat. Es wäre nur ein weiteres Tool, um die Meinung im Westen zu Gunsten des Regimes zu drehen.

Auffällig an dieser Forderung ist die Formulierung ‚professionelle‘. Das kann in der Logik nur institutionalisiert sein. Und wer kontrolliert in der islamischen Republik die Institutionen? Natürlich das Regime. Und an der Stelle ist es höchst sonderbar, dass Frau Dr. Zamirirad institutionalisiert finanzielle Mittel gen Iran schaffen möchte, denn diese können ja nur in ‚professionellen’ Institutionen landen.

Das Argument läuft freilich auf etwas hinaus, dass die islamische Republik gerne hätte: Der Iran soll wieder ans Swift-System angeschlossen werden. Die Geldversorgung der Demonstranten ist eines der Argumente dafür. Allerdings sehen die Behörden so auch, wer Geld erhält und von wem es kommt. Das gefährdet die Sicherheit von Dissidenten. Aber auch die Familien der Opfer, denen man per Überweisung Geld zukommen lassen würde, kämen so ins Fadenkreuz des Regimes.

Bei Minute 27:45 wird der Punkt nochmal gemacht, ohne die dahinter liegenden Probleme auszuführen.

Dr. Zamirirad Minute 28:16 bis 30:10

Die Proteste gehen nicht mehr weg. Man will das Regime nicht. Es seien jedoch auch ganz andere Szenarien möglich, wie bspw. ein Bürgerkrieg oder ein Militärputsch der Revolutionsgarden, insbesondere nach dem Ableben Chameneis.

Allerdings hätten die Bürgerïnnen Irans sich Freiräume erkämpft. Viele Frauen würden ohne Kopftuch auf die Straße gehen und in dem Sinne seien das die erfolgreichsten Proteste.

Gedanken Marco Herack

Auffällig ist erneut, dass die Alternativen zu Frau Dr. Zamirirads Ideen durchweg Horrorszenarien sind. Bürgerkrieg, Nord Korea und Militärputsch.

Militärputsch? Durch die Revolutionsgarden, um genau zu sein. Nur sind die, siehe oben, ja gar nicht das Militär und so wird auch für dieses Szenario der potenzielle Gegenpol einfach eingemeindet, statt ihn zu benennen. Die Horrorszenarien werden überbetont.

An der Stelle ist auch der Hinweis wichtig, dass gerade in westlichen Zirkeln die Idee eines ‚Militärputsches‘ durch die Revolutionsgarden sehr gut verfängt. Man kombiniert das mit der Idee, dass es ‚dem Militär‘ ja nur um Geld und Einfluss geht. Die ideologische Zusammengehörigkeit von Führer und Garden liegt außerhalb der eigenen Denkmuster.

Wenn überhaupt, ging es um die Kombination, demonstrierendes Volk und Militär entgegen dem Begehren der Garden, die dann ohne Führer dastehen würden. Das ist insofern wichtig, als dass wir beobachten konnten, dass die Garden durch die Proteste bereits an ihre Grenzen gebracht wurden. Deshalb wurden höchstvermutlich Milizen aus dem Irak eingeflogen, um die eigenen Kräfte zu unterstützen. Die aktuelle Balance zu Gunsten des Machtapparates ist also keineswegs gottgegeben.

Im Fazit

Was treibt eine Wissenschaftlerin dazu, Horrorszenarien zu betonen und Entitäten nicht zu benennen? Im Kern läuft das Gesagte darauf hinaus, dass Europa und die USA machtlos gegenüber dem Treiben im Iran sind. Alles, was getan wird, ist reine Symbolpolitik und wenn man das tut, was die Demonstrierenden fordern, dann ist das wahlweise ebenfalls Symbolpolitik oder potenziell der große Atombombenbringer. Es läuft darauf hinaus, dass ‚der Westen‘ sich erpressen lassen muss und da, wo er sich engagiert, Gelder so in den Iran leitet, dass diese direkt vom Staat kontrolliert werden können. So wie das auch mit den vorgeschlagenen Gesprächsformaten der Fall wäre. Harte Linien sind zudem trumpistischer Neokonservatismus.

Ist ist dadurch zumindest verständlich, warum Frau Dr. Zamirirad vorgeworfen wird, Lobbying für die islamische Republik zu betreiben. Ihre Analyse ist unkritisch und einseitig zu Gunsten der Mullahs. Aber unabhängig davon ist es auch eine schlechte wissenschaftliche Arbeit, denn diese würde Machtstrukturen konkreter benennen, würde sich via Umfragen für die wirkliche Meinung der Menschen interessieren und sich vor allem davor hüten, ein zum Totalitarismus neigendes Regime als fluide zu begreifen.

Ohne den Begriff der Fluidität, der dem Machtaufbau zugesprochen wird, ist die Idee des Verhandelns sofort anders zu werten. Denn außenpolitisches Verhandeln hat im Kern immer die Idee, den Kuchen für alle zu vergrößern und somit ‚essbar‘ zu gestalten. Was aber, wenn man vor einem destruktiven Protagonisten sitzt, der andere Absichten verfolgt? Wann, wenn dieser Protagonist die eigenen Prinzipien nur allzu gut kennt und für sich zu nutzen weiß?

Aus der näheren Vergangenheit kennen wir diesen destruktiven Protagonisten aus Russland. Ein Land, das nicht zufällig gerade seine Kooperation mit dem Iran stark ausbaut und an den Atom-Verhandlungen beteiligt war. Es gibt viele Indikationen, dass ein positives Engagement gen islamischer Republik nicht zu dem führt, was es bräuchte, um das notwendige Vertrauen in ein Verhandlungsergebnis aufzubauen.

Worin sich dieses Vertrauen begründen soll, wurde in dem Interview von Ulrich Timm leider nicht mal gefragt. Das Thema Geiseldiplomatie hätte sich ebenfalls gut geeignet diesen Punkt zu verhandeln. Und warum der Atom-Deal wichtiger sein soll, als die Verurteilung eines Regimes, dass seine Bürgerïnnen zu Tode vergewaltigt, ist mir ebenfalls nicht verständlich geworden.

In Frau Dr. Zamirirads sehr speziellem Blick liegt etwas zutiefst unmenschliches, denn er betont Erfolge, ohne deren Kosten zu benennen. Dieser Blick fordert Opfer für höhere Güter, ohne diese Opfer (die Menschen im Iran) zu benennen. Er fordert uns ab, Unfreiheit zu legitimieren. 10,5 Jahre für einen Tanz in der Öffentlichkeit? Das müssen auch ‚wir‘ bereit sein mitzutragen, indem wir die Täter als legitime Vertreter ihres Volkes anerkennen. Ob man dadurch nicht auch zu einem Täter werde, wurde als Frage nicht mal gestellt.

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